Eine Künstlerfamilie - Louise Rösler

Helmut R. Leppien

Als sie heiratete, war Louise Rösler noch nicht 26 Jahre alt. Im Jahr darauf malte sie ein Bild, das nicht nur im Titel seltsam ist: „Haus mit rotem Inlett –Wustrow“. Ein Bild von einer eigentümlich magischen Stimmung. Wir erkennen alles wieder: die zwei Hausgiebel, die Fenster, den Schornstein, die Fahnenstange, die Bäume, die Hecke – alles ordentlich von vorn gesehen. Und doch sehen wir eigentlich nichts richtig – die fahle Vegetation hat etwas geradezu Gefräßiges, wächst gar in den himmelblauen Himmel hinein, und diese Vegetation ist aufgelöst in kleinste Formen. Auch das rote Inlett, das da aus dem rechten Fenster hervorhängt, ist nicht mehr als ein roter Punkt. Trotz aller Formauflösung ein Werk von großer Kraft und Bestimmtheit im Bildaufbau. Aber wie hier das Vertraute ins Unheimliche umschlägt, das ist das Einzigartige.

Louise Rösler hat das Malen nie aufgegeben. Aber die Umstände haben sie kräftig gehindert. Auch ihre Kunst war für die Nazis entartet, und dennoch machte sie wie Walter Kröhnke trotz aller Not tapfer weiter. Ehe und Kinder konnten sie nicht von der Kunst abbringen. Dass mit Louise Rösler und Walter Kröhnke zwei Künstler nebeneinander arbeiteten, hat beide nicht gehindert, ja eher inspiriert. Dann kam der Krieg, die Angst um den Mann an der Front, die dauernden Bombardements in Berlin, die Sorge um das Kind, schließlich die Ausbombung, der Verlust der bisherigen Arbeit, die Evakuierung in den Taunus, der Ausschluss aus der Reichskulturkammer (sie zerriss das Dokument, warf es in den Papierkorb), schließlich die Nachricht, ihr Mann sei vermisst, der sie ihre Hoffnung entgegensetzte.

1946/47, in einer Zeit von Armut und Hunger, malte sie das große Bild „Prozession“. Es ist ein heiteres Bild, bewegt und frisch, aufgelöst in Splitterformen.

1949 schrieb sie einem Freund ihrer Kunst aus Königstein, sie können nun „endlich mal an Malen denken ..., zum ersten Mal in meinem Leben!“ Da war sie 41 Jahre alt.

Eine aufgesplitterte Bildstruktur kennzeichnet die Arbeiten der fünfziger Jahre. Das gilt nicht nur für die jetzt in großer Fülle entstehenden Collagen, für die amerikanisches Bonbonpapier häufig Verwendung fand, sondern auch für die Gemälde. Das „Gartenfest“ von 1957 ist von vibrierender Unruhe und hat zugleich durch die Farbwahl eine harmonische Naturhaftigkeit, die des Abbildes nicht mehr bedarf. Es ist die nervöse Dynamik, die jenen Bildern innerhalb der Kunst der deutschen Nachkriegszeit ihre eigene Note gibt. Die Collagen aber haben nicht ihresgleichen; die völlige Auflösung der Kompositiion in eine vielfältige Splitterstruktur im „Strahlenden Oktobertag“ etwa muss in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung noch erkannt werden.

In den sechziger Jahren entspannt sich die Straffheit des Bildbaus. Die Bilder bekommen eine heitere Lockerheit, sind skizzenhaft angelegt, haben aber die energischere Rhythmisierung beibehalten. Nun fügt Louise Rösler auch Fundstücke in ihre Bilder ein, ganz unbefangen als kleine farbige Reliefs. Die Strahlkraft der Farbe ist die Ernte des folgenden Jahrzehnts. Es ist die Welt der Großstadt, die sie zu ihren Bildern anregt, die Unruhe der Straße, und das Erleben vermag sie in das Bild hineinzunehmen. „Die mehr oder weniger erkennbare Szenerie ... ist nicht nur Schauplatz, sondern vor allem Klangraum“, definierte 1984 Doris Schmidt.

Die Bilder des Alters, etwa das „Maibild 79“, sind fern von Abgeklärtheit und Beschränkung. Sie sind frisch, lebendig, leicht und heiter. Louise Rösler scheint bis zuletzt die Welt neugierig, offenen Sinnes gesehen zu haben. Immer wieder gelingt es ihr, die Eindrücke und Erfahrungen malend und klebend umzusetzen zu Bildern des Lebens.

Aus: Katalog „Eine Künstlerfamilie - Drei Generationen“, 1988 bei BATIG